Landnutzungswandel


Wald

Während des Mittelalters bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde der Wald vornehmlich als Hude (Weide) für Schweine genutzt. Außerdem wurde Feuerholz gesammelt und dazu vor allem niedrigwüchsige Büsche und Bäume ausgeschlagen. Durch diese Nieder- und Mittelwaldnutzung entstand eine sehr lichte, fast parkartige Waldlandschaft. Für zahlreiche Schmetterlinge, darunter auch die Erebia-Arten, stellte diese Form der Waldnutzung wohl den Idealzustand dar. Offene Waldweiden wechselten sich mit lichten Waldbeständen und großzügigem Gräserunterwuchs ab.

 

Lichter Kiefernbestand mit Molinia-Unterwuchs am Spitzberg bei Tübingen. Hier starb E. aethiops schon vor langer Zeit aus. Ist dieser Waldbereich nun strukturell noch geeignet und klimatische Faktoren bestimmten das Aussterben? Oder ist der Wald bereits zu dicht und verbuscht?

Nachdem die Waldweide wegen der Seuchengefahr Ende des 19. Jahrhunderts verboten worden war und in den darauf folgenden Jahrzehnten die Bedeutung der Feuerholzgewinnung im Zuge der Industrialisierung abnahm, setzte ein Umdenken in der Waldwirtschaft ein. Holz wurde als Baustoff gefördert und die ursprünglichen Laub-Misch-Wälder durch schnellerwüchsige Nadelholz-Monokulturen ersetzt. Auch zahlreiche Waldwiesen und waldnahe Bereiche wurden, mit staatlichen Mitteln gefördert, aufgeforstet. Die Flurbereinigung führte weiterhin dazu, dass viele Waldgesellschaften glatte, gerade Kanten aufwiesen und es keine Übergangsbereiche zwischen Wald und Offenland (Vorwaldstadien) mehr gab. Die sehr dichten und dunklen Nadelholzbestände wurden dann per Kahlschlag gefällt. Diese Form der Waldnutzung hatte auf viele waldbewohnende Schmetterlingsarten, wie Lopinga achine, Euphydryas maturna, Coenonympha hero oder Zygaena osterodensis eine verheerende Wirkung. Innerhalb weniger Jahrzehnte waren diese Arten aus weiten Bereichen der mitteleuropäischen Waldlandschaft verschwunden. Auch die Erebia-Arten reagierten hierauf mit Rückgangstendenzen, die sich aber möglicherweise durch die durch Kahlschläge entstandenen, habitatschaffenden Offenflächen noch nicht so sehr bemerkbar machten. Erebia aethiops konnte in weiten Bereichen der Schwäbischen Alb, der Oberrheinebene und der Oberen Gäue in auf nicht mehr genutzten Magerrasen, durch Aufforstung oder Pollenflug entstandene, lichte Kiefern-Wälder ausweichen und fand hier relativ günstige Lebensbedingungen. In einigen Bundesländern stellen diese Kiefern-Wälder die letzten Vorkommensorte von E. aethiops dar.

 

Lichterer Kiefernwaldbereich im zentralen Schönbuch. Die Strauchflora wird weitgehend von Brombeere geprägt, die lichthungrigen und magerkeitsliebenden Waldgräser wie B. pinnatum oder M. caerulea haben hier keine Chance mehr.

 

Typische ehemalige Sturmwurffläche im Schönbuch: Einige Bereiche sind wieder komplett mit Sukzessions-Gehölzen bewachsen, auf den Freiflächen breitet sich großflächig Calamagrostis epigejos aus. In derartigen Habitaten konnten bisher keine Erebia-Arten nachgewiesen werden.

Ende des 20. Jahrhunderts setzte ein weiteres Mal ein Umdenken in der Waldwirtschaft ein. Die Klimaerwärmung, Stürme und Borkenkäferkalamitäten schädigten vor allem die häufig standortfremden Nadelholzbestände so sehr, dass diese nicht mehr wirtschaftlich waren. Nach Verbot der eine explosionsartige Vermehrung von Borkenkäfern begünstigenden Kahlschläge, wurde in Zeiten eines mehr ökologisch orientierten Denkens ein so genannter „Naturnaher Waldbau“ favorisiert. Hierbei werden nur einzelne, große Überhälterbäume zur Holzgewinnung entnommen, man spricht deshalb auch von Hochwaldnutzung. Gleichzeitig wird auf Naturverjüngung gesetzt, d.h. Bäume werden nicht mehr gepflanzt, sondern diese wachsen natürlich unter dem Krondach der Überhälterbäume heran. Für einige Vogelarten hatte diese Form der Waldnutzung durchaus auch positive Folgen. Leider führten das jetzt geschlossene Krondach und die darunter wachsenden aufkommenden Büsche und Bäume dazu, dass es kaum noch lichte Waldbereiche gab. Auch konnten sich die Waldgräser gegen die große Konkurrenz der Büsche und Bäume im Kampf um Licht nicht durchsetzen. Für viele Schmetterlingsarten, darunter ehemals häufige Arten wie Boloria selene, Boloria euphrosyne, Argynnis adippe, Melitaea athalia, Hamearis lucina, Zygaena lonicerae oder auch die Erebia-Arten war diese „naturnahe“ Form der Waldnutzung ungemein schädlich. Viele Arten verschwanden aus ehemals besiedelten Waldgebieten ganz. Im Schönbuch starben schon früh L. achine und Z. osterodensis aus, hierauf folgten Z. lonicerae, M. athalia und auch Erebia ligea. Bis heute haben sich in Restpopulationen E. aethiops, C. hero, B. selene, B. euphrosyne, A. adippe und H. lucina halten können. Viele dieser Arten profitierten dabei vom habitatschaffenden Effekt der Stürme „Wiebke“ und „Lothar“, die noch einmal lichte Waldbereiche in Form von Sturmwurfflächen schufen. Für einige Arten kamen diese Stürme jedoch zu spät, die Populationen waren schon erloschen oder so klein geworden, dass die neu entstandenen Habitate nicht mehr besiedelt werden konnten. Eine Habitatkontinuität über Jahrzehnte war nicht gegeben. Auch die letzte Population von E. aethiops im Schönbuch zeigte nach den Stürmen keinerlei Ausbreitungstendenzen mehr. Es muss offen bleiben, ob dies auf die genetische Verarmung dieser Restpopulation oder auf die fehlende Habitateignung der Sturmwurfflächen zurück zu führen ist.

 

Extremfall der Eutrophierung in Oberschwaben: Auf dieser Sukzessionsfläche breitet sich ein fast geschlossener Brombeer-Teppich aus, Gräser haben keine Chance. Zahlreiche Sturmwurfflächen in Oberschwaben sind ähnlich eutrophiert, allein Calamagrostis epigejos ist als Gras manchmal zu finden.

 

Eine weitere typische Sturmwurffläche in Oberschwaben: Die mit Fichten aufgeforstete Freifläche wird weitgehend von Brombeere überwachsen. In manchen Bereichen (links im Hintergrund) wachsen auch Gräser, wobei es sich meist um Calamagrostis epigejos handelt.

 

Walwegrand in Oberschwaben: Die weißen Blüten der Kerbel zeigen auch hier eine hohe Stickstoffbelastung an. An den schmalen Wegrändern machen sich daneben Disteln und Brennnesseln breit, für die Nahrungsgräser ist hier kein Platz mehr.


 

Offenland

Ähnlich wie der Wald wurden früher auch zahlreiche Offenlandtypen intensiv mit Schafen (Wanderschäfer) beweidet. Hierdurch entstanden sehr kurzrasige, hochwertige Magerrasen. In feuchteren Habitaten wurden Wiesen einmal jährlich gemäht und das Mahdgut als Einstreu für eine Stallhaltung im Winter genutzt. Diese Streuwiesen gab es vor allem im Alpenvorland, sie waren ehemals allerdings auch in anderen Regionen vorhanden. Erebia medusa nutzte zu dieser Zeit wahrscheinlich hauptsächlich streureiche extensiv genutzte Wiesenflächen, die überall vorhanden waren. Es ist davon auszugehen, dass E. medusa damals eine Allerweltsart wie heute Aphantopus hyperantus oder Maniola jurtina war. Im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert, einhergehend mit vermehrter Stallhaltung von Rindern, wurden viele Wiesen gedüngt, um sie zu ertragsstarken Vielschnittwiesen umzuwandeln. Die Wanderschäferei verlor an Bedeutung, steile Magerrasen wurde nicht mehr beweidet oder anderweitig genutzt, fielen also aus der Nutzung heraus und verbrachten zunehmend. Die Bracheflächen stellten für E. medusa zu Beginn der Sukzession noch ideale Habitate dar, die jedoch mit aufkommendem Strauch- und Baumbewuchs immer suboptimaler wurden. Neben der Düngung vieler Wiesen setzte auch die oben erwähnte Aufforstung von Waldwiesen ein, die E. medusa weiterer Habitate beraubte. In heutiger Zeit ist die Art deshalb aus fast allen ehemals besiedelten Waldgebieten mit ihren Tal- und Waldwiesen verschwunden, auch fehlt sie in weiten Bereichen der Niedermoore Oberschwabens. Da das Brachfallen von Magerrasen und Streuobstwiesen ein immernoch fortlaufender Prozess ist, findet E. medusa hier auch aktuell noch temporär geeignete Habitate. Als Ersatzlebensräume nimmt die Art außerdem strukturell ähnliche Böschungen und Dämme (z.B. Verkehrsnebenflächen oder Bahnböschungen) an. Von der seit einigen Jahren praktizierten Wiederaufnahme der Schafbeweidung durch den Vertragsnaturschutz kann E. medusa, im Gegensatz zu anderen Arten, kaum profitieren, da sie unbedingt streureiche Brachestrukturen benötigt. Aufgrund all dieser Faktoren ist die Prognose für E. medusa äußerst ungünstig, wenn nicht in absehbarer Zeit eine Entwicklung hin zu extensiver Landbewirtschaftung vonstatten geht. Als beispielhaft für den Rückgang von E. medusa kann die Situation in Oberschwaben betrachtet werden, wo die Art nunmehr fast ausschließlich entlang von Bahndämmen und Böschungen vorkommt, während landwirtschaftlich genutztes Land nicht mehr besiedelt wird. Eine seltene Ausnahme stellen hierbei die extensiv genutzten Waldwiesen im Rotwild-Gehege des Sigmaringer Forstes dar, wo die Art auch aktuell noch verbreitet ist.

 

Eutrophierte Feuchtbrache auf der Schwäbischen Alb: Neben den Kerbeln wachsen hier auch Storchschnabel. Erstaunlicherweise war diese Fläche sowohl von E. medusa als auch Polyommatus eumedon gut besetzt. Dies wäre im Schönbuch in ähnlich strukturierten Flächen aktuell nicht mehr denkbar.

 

Im zentralen Bereich des Schönbuchs kann E. medusa aktuell als ausgestorben betrachtet werden. Zahlreiche ehemals besiedelte Waldwiesen wurden während der letzten Jahrzehnte bedüngt und zu Fettwiesen umgewandelt. Ausschließlich in den Randbereichen des Schönbuchs, wo teilweise noch Bracheflächen (Böschungen, ehemalige Deponien, Verkehrsnebenflächen, Bahndämme) existieren, finden sich letzte individuenarme Populationen. Doch auch hier hat der Anteil ehemals besiedelter, aktuell jedoch verlassener Habitate stetig zugenommen. Die Gründe hierfür sind häufig nicht eindeutig. Strukturell scheinen die Habitate durchaus noch geeignet zu sein. Ist eine zunehmende Isolation der Habitate ursächlich für das lokale Verschwinden der Vorkommen? Oder spielen doch andere Faktoren wie die Klimaerwärmung eine wichtige Rolle?


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